Botschafter
des Gesangs aus der Oberlausitz
Zum kulturhistorischen Schatzkästlein
ist die liebevoll restaurierte Innenstadt Hoyerswerdas in Sachsens
östlichster Region, der Oberlausitz, geworden. Helle Farben
dominieren die historischen Gebäude, am hellsten leuchtet die
spätgotische Johanneskirche, außen wie innen nicht nur
vom Licht durchflutet, sondern im April 2006 auch vom lichten Timbre
eines Chores, der selbst in den gefeierten Metropolen Deutschlands
seinesgleichen sucht.
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by Martina Arlt 2006 |
Volle
Konzentration auf jedes Zeichen von Lothar Kusche:
der Mädchenchor "Cantemus"
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Genau
genommen sind es zwei Chöre, zusammen fast ein Drittel der
Schülerschaft des traditionsreichen Lessing-Gymnasiums
der Mädchenchor "Cantemus" und der gemischte Jugendchor
, die anlässlich eines Benefizkonzerts des Lions-Clubs
in der bis auf den letzten Platz gefüllten Johanneskirche auftraten.
Gleich
zu Anfang bestach das Klangprofil der rund vierzig Mädels von
"Cantemus" durch blitzsaubere Intonation, kristallklare
Durchsichtigkeit und eine beinahe ätherische Farbgebung der
Stimmen. Englische Sprache zeichnete die Hälfte ihrer Beiträge
aus sowohl im religiösen Bereich von der mitreißenden
Psalm-Vertonung "O Come, Let Us Sing" des Norwegers Egil
Hovland bis zu den amerikanischen Gospel-Klassikern "Joshua
Fit the Battle of Jericho" und "Ticket to the Kingdom"
wie auch in Thomas Morleys lebens- und liebesfreudigen Madrigalen
aus galanter Elisabethanischer Zeit.
Bei
aller Internationalität brachte Chorleiter Lothar Kusche auch
Volkstümliches aus deutschen Landen zur Geltung, darunter zeitgenössische
Sätze wie Heinz Lemmermanns "swingende" Version von
"Hab mein Wage vollgelade" und eine Rarität im Walzertakt,
"Die Schwätzer" des Hessen Winfried Siegler-Legel.
Flink, diszipliniert und geräuschlos begaben sich dabei die
Mädchen zwischen den Gesängen in die optimale akustische
Aufstellung für jedes Werk.
Abwechselnde Begleitung
zwischen den A-cappella-Chorsätzen boten ein Klavierflügel
und sogar eine Gitarre und verliehen dadurch vor allem den solistischen
Beiträgen einen attraktiven Rahmen. Eine Erinnerung an die
Achtzigerjahre brachte Lisa Wiener mit dem träumerischen Song
"Out Here on my Own", mit dem einst Irene Cara in "Fame"
die Herzen der Musical-Fans eroberte, Josefine Brechel führte
den Gospelsong vom "motherless child" zu einem gefühlvollen
Crescendo auf "a long way from home", ein Duo besang Frühlingsbaumblüten
in einem selten gehörten Werk von Siegfried Bimberg
alles in besinnlichen Molltonarten. Ebenso nachdenklich wirkte Georg
Schubert in Robert Schumanns berühmter Heine-Vertonung
gut passend zu Hoyerswerda, wo Napoleon kurz vor dem Russland-Feldzug
Quartier nahm "Die beiden Grenadiere". Selbst beim
Hereinbrechen der G-Dur-Fanfare der Marseillaise blieb diesen Kriegern
ein letztes Aufbäumen versagt, die Rettung des gefangenen Feldherrn
nur ein Gedanke. Ebenso nachdenklich wirkten die poetischen Zwischentexte
bis hin zu Wilhelm Buschs "Vogel auf dem Leim", der im
Angesicht des Todes lustig quinquilierte Anlass zu einem
Lächeln, aber unter mitfühlenden Tränen.
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by Martina Arlt 2006 |
Innige
Gospelmusik mit Solistin Josefine Brechel und dem Jugendchor
des Lessing-Gymnasiums Hoyerswerda, Leitung Ilona Seliger
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Eine
wunderbare thematische Einheit bei stilistischer Vielfalt zeigte
der gemischte Jugendchor unter der Direktion von Ilona Seliger,
der Fachleiterin für den musischen Bereich. Kein Mangel an
singenden Jungmannen unter den rund siebzig Stimmen ein Beweis
der Wertschätzung der Vokalmusik am Lessing-Gymnasium. Nun
kamen die französische Sprache ("Au clair de la lune")
und sogar die tschechische Sprache hinzu in der Bearbeitung zweier
mährischer Lieder von Anton Dvorák durch Leo Janácek,
Perlen slawischer Romantik. Die Spätrenaissance ließ
grüßen selten hat man eine so schwungvolle Darbietung
von Hans Leo Hasslers "Tanzen und Springen" gehört.
Als ruhender Pol wirkte dagegen James E. Moores langsamer Marsch-Hymnus
"That We May Be One", längst ein Hochzeits-Favorit
in angelsächsischen Ländern.
Ganz
überraschend steigerte sich bisweilen der filigrane Chorklang
zu einer satten, runden Fülle, die das Gotteshaus vibrieren
ließ, fast an die mächtige Sangestradition der slawischen
Nachbarn gemahnend. So brauste Johannes Brahms' "Waldesnacht"
auf vom "lauten Weltgewühle" und dann wieder der
heitere Übermut von Rolf Lukowskys Satz "Horch, was kommt
von draußen rein" mit purer, ansteckender Sangesfreude.
Strahlend endete das Frühlingskonzert zu lebhafter Klavierbegleitung
mit Jay Althouses polyglottem, spanisch-lateinischem Lobgesang "Exultate
cantamos festivo", gefolgt von der Überreichung zweier
Schecks an die Lebenshilfe und das Förderzentrum für Körperbehinderte
durch den Lionsclub-Vorsitzenden, Stadtrat Hartmut Ackermann.
Was
aber ist das Geheimnis der hohen Qualität und des internationalen
Renommees dieser Chöre? Exzellente Lehrkräfte, gewiss,
vielleicht auch ein Nachwirken der seit Jahrhunderten gepflegten
sorbischen Sangestradition in der Oberlausitz. Ganz deutlich waren
Leitideale der besten und kreativsten Vorbilder der DDR-Musikpflege
wie die Professoren Bimberg und Lukowsky zu spüren. Bemerkenswert
ist in dieser Hinsicht gleichermaßen der Status des Lessing-Gymnasiums
unter seiner langjährigen Schulleiterin Ortrun Böhme als
eines von nur sechs Gymnasien in Sachsen mit "vertiefter musischer
Ausbildung", welche zu vielfältigen Musik-Leistungskursen
Erfahrung im Orchesterspiel, Jazz, Tanz und Theater bietet.
Längst
gehen die mehrfach preisgekrönten Chöre des Lessing-Gymnasiums
als Botschafter ihrer Region auf Reisen. Weit über technische
Perfektion hinausgehend, erreichen sie ein klar umrissenes gesangliches
Profil, welches in Stimmbildung und Ausdruck einen deutlichen Kontrapunkt
etwa zum mediterranen Ideal bildet Pathos und Drama der Opernchöre
liegen ihnen so fern, dass selbst Ritardandi am Schluss eines Stückes
von Ilona Seliger mit äußerster Sparsamkeit eingesetzt
werden. Und was noch mehr Bewunderung hervorruft alle
Chormitglieder beherrschen jede Note ihres Programmes auswendig.
Kurzum und damit erscheint jede Unterstützung seitens
unseres Netzwerks für internationalen Kulturaustausch für
diese jungen Talente gerechtfertigt sie haben alle Befähigungen,
unter den Spitzenchören Sachsens die Vokalkultur unseres Landes
auch weit außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik zu vertreten.
Ingo Bathow
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