An drei historischen Daten zeigt die Autorin
anschaulich auf, wie sich die DDR von ihrer Bevölkerung entfremdete
ANSBACH 9. November 2003. Kein Tag zum Lamentieren
für die Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld, im Gegenteil:
Für sie und alle Zuhörer der LesArt im Angletsaal erinnerte
er an das freudigste Ereignis, das die deutsche Geschichte
zu bieten hat.
Kein besserer Zeitzeuge hätte sich finden lassen,
um die turbulenten Ereignisse des Berliner Mauerfalls noch einmal
anschaulich zum Leben zu erwecken, hatte doch ihre unabhängige
Friedensbewegung letztlich den Anstoß dazu gegeben.
Noch mehr: Vera Lengsfeld zeigte an Hand dreier historischer
Daten 1969, 1979, 1989 mit Erinnerungen aus ihrem
neuen Band Mein Weg zur Freiheit, wie sehr sich der
Arbeiter- und Bauernstaat durch eine eigenartige Mischung
aus Brutalität und Hilflosigkeit von der eigenen Bevölkerung
entfremdete.
Bilder einer Auflösung. Surrealistisch mutet
an, wie 1969 Tausende von Jugendlichen mit der Wahnvorstellung zur
Mauer strömen konnten, auf dem Dach des Springer-Hochhauses
mit der nach Osten gerichteten Riesenkamera würden die Rolling
Stones eine Gegenveranstaltung zu den DDR-Jubiläumsfeierlichkeiten
abziehen. Entsetzt musste die damalige Oberschülerin aus Berlin-Mitte,
die als Offizierstochter eigentlich zu den Töchtern der
staatstragenden Schicht der DDR gehörte, die grausamen
Gegenmaßnahmen der Behörden gegen die mutmaßliche
Aufhetzung miterleben. Die Wunden verheilten nie: Im
Stasigefängnis Hohenschönhausen traf sie später einen
gewissen Charly Rau, der wegen dieses Konzertbesuchs
verhaftet wurde und dem diese Verhaftung später als Rückfalltäter
17 Jahre DDR-Knast einbrachte, eine ruinierte Gesundheit und eine
bis heute andauernde wirtschaftliche Notlage.
Wer heute das eigentlich gesunde Wirtschaftssystem
der DDR beschwört, dem führte Vera Lengsfeld den Katastrophenwinter
1979 drastisch vor Augen: Bei lang anhaltender Kälte gingen
plötzlich die Braunkohlevorräte zu Ende, es schlossen
Büros und Fabriken, hungernd und frierend mussten die Menschen
des Nachts im Dunklen sitzen, bis aus dem Westen mit einer Riesenlieferung
Ruhrkohle die Rettung kam.
Als Lengsfeld auf die Ereignisse des Zusammenbruchs
zu sprechen kam, wurde deutlich, dass eine Politikerin von dieser
Dynamik noch größere Aufgaben vor sich sieht als auf
den Hinterbänken der CDU-Fraktion. Nicht nur in der Richtigstellung
des Geschichtsbilds gegenüber Apologeten wie Gregor Gysi und
Markus Wolf. Angesprochen auf die Spitzel-Affäre um ihren damaligen
Ehemann Knud Wollenberger, korrigierte sie das verharmlosende Bild
vom Spitzelstaat: Die Staatssicherheit war eine kriminelle
Organisation, die sich mit Mord und Entführung, mit der
Zerstörung von Karrieren, Lieben und Familien beschäftigte.
Darum konnte sich kein Hörer der Ergriffenheit entziehen, als
Vera Lengsfeld den Moment der Befreiung neu erlebte: Ein Triumphgefühl
breitete sich aus, nicht nur bei mir wir hatten das System
in die Knie gezwungen.
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