Eine
Musiker-Legende in der Philharmonie
Herbert Blomstedt dirigiert das DSO
Von Ingo Bathow
Wer erlebt hat, wie Leonard Bernstein mit wenigen
Worten über die Musik ein Lächeln auf die Gesichter seiner
Zuhörer zaubern konnte, der fühlte sich beim Auftritt
der nur neun Jahre jüngeren Dirigenten-Legende Herbert Blomstedt
an alte Zeiten erinnert. Er war der Pionier, der 1975 den Mut hatte,
ein renommiertes Orchester der DDR zu übernehmen, um es dann
sogar auf Tournee in sein Geburtsland USA zu führen. Gertenschlank,
mit dem federnden Schwung eines Jünglings schritt Blomstedt
auf die Bühne der Philharmonie, erfüllte auf unnachahmliche
Art eine Mission, für die er berühmt ist - durch das Mittel
des Gesprächskonzerts sein Publikum für ein Werk der neueren
Musik zu begeistern.
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Die Macht der Interpretation: Eigentlich hatte das
von Blomberg vor einem knappen Jahrzehnt uraufgeführte erste
Konzert für Violoncello und Orchester des New Yorkers Richard
Danielpour einen tragischen Charakter. Dem Komponisten, dessen Wurzeln
sich aus der jüdischen Diaspora in Persien herleiten, schwebte
ursprünglich die Vision einer orientalischen Sehergestalt vor,
die vom gottlosen Volk abgelehnt, in den Tod getrieben und schließlich
zu Grabe getragen wird. Es war faszinierend, wie der Dirigent mit
freudigem Elan die Themen singend, erklärend, mit Hörbeispielen
des Deutschen Symphonie-Orchesters bekräftigend dem Werk eine
eminent christliche Interpretation verlieh. Die göttliche Sendung
eines Retters, das langsam aus der Höhe in die Finsternis hinabsteigende
Licht, untermalt mit himmlischen Harfen- und Celestaklängen,
war für ihn das Wunder von Bethlehem.
So weit entfernt diese Interpretation von der Intention
des Komponisten gelegen haben mag - sie war in sich stimmig, sie
überzeugte. Sei es durch die euphorische Darlegung des Dirigenten,
durch die Zugänglichkeit von Danielpours Tonsprache, die Durchsichtigkeit
des Spiels des Deutschen Symphonie-Orchesters oder die tonmalerische
Anschaulichkeit und Ausdruckskraft des Violoncello-Solisten Jens
Peter Maintz - das göttliche Licht wurde spürbar, wie
es über drei Oktaven hinabstieg, die dumpfen Widerstände
orchestraler Finsternis überstrahlte, den Propheten beseelte.
Und es wurde das Flehen des Bußpredigers hörbar, bis
das "göttliche" Motiv plötzlich in entsetzlichen
Varianten entstellt und durch instrumentale "Lachsalven"
übertönt wurde, die Blomstedt in seiner Einführung
exakt vorgemacht hatte. Noch schlimmer, es brach ein brutaler Rhythmus
aus, der sehr aktuelle, parodistische Anklänge an gewisse Tendenzen
des Kommerz-Betriebes hin zu entmenschlichten, gewalttätigen
Strukturen enthielt, über die Blomstedt lakonisch kommentierte:
"Wenn die Seele von der Musik weg ist, bleibt nur Rhythmus
zurück."
Jens Peter Maintz konnte seine Expressivität
- besonders mustergültig im Soliloquy, dem erschütternden
Monolog des vereinsamten Propheten - so schillernd und nuanciert
zum Einsatz bringen, dass die Hörer geradezu zum eigenen Mitdenken
herausgefordert waren. In rascher Folge wechselten die Emotionen
des Propheten, die das Cello zum Ausdruck brachte - war es ein Wehklagen
über sein Volk, war es ein Aufruf zur Buße, war es der
Zorn des Predigers, oder ein Gebet, oder gar das seelische Ringen
von Gethsemane? Maintz schöpfte seine Gabe voll aus, mit dem
Hörer zu kommunizieren, ihn anzusprechen, seine geistige Teilnahme
zu verlangen. Im abschließenden Satz wurde sein Duktus weich,
entrückt, fast segnend, während das Orchester die Leidensgeschichte
mit einem Marsch zum Schafott fortsetzte - einem rituellen Henkersmarsch,
der freilich die dämonische Wucht seines Gegenstücks aus
Hector Berlioz' Symphonie fantastique gar nicht erst anstrebte.
Schließlich, in Abwandlung des ersten absteigenden Motivs,
folgte eine verhaltene Totenklage, das Werk klang aus, ruhig, gedämpft
und fast versöhnlich, ohne jede Anklage, wie eine Passion.
Dem Orchester gestattete Richard Danielpours Partitur
eine imponierende Raumwirkung, etwa durch die in weitem Kreis verteilten
selbstklingenden Instrumente wie Glocken, Xylophon, Vibraphon und
Celesta und häufig durch den sehr amerikanischen Einsatz dichter
Blechakkorde. "Postmodern" wirkte das Streben nach Verständlichkeit
in der Aussage, die der Maestro in solch klare Worte fassen konnte,
und in den Klangstrukturen, die bisweilen an vertraute Filmmusik
der neunziger Jahre gemahnten. Dazu gehörte aber auch die wieder
eingefangene "Seele" der Musik, die Melodie, welche die
exaltierten, quasi religiösen Höhenflüge des singenden
Cellos erst möglich machte.
Für den Applaus bedankte sich der Solist mit
der Sarabande aus Bachs 3. Suite für Violoncello solo und bestätigte
wieder die Eigenschaften, die auf ganz andere Art als etwa der introvertierte,
meditative Pablo Casals das Publikum in seinen Bann schlugen - hellwach,
mit mehr als nur einer Spur Humor, tief gestaltend, intellektuell
fordernd, zu kreativem Mitdenken anregend.
Viele halten Johannes Brahms für einen Grübler
und Melancholiker. Aber zusammen mit dem Deutschen Symphonie-Orchester
befreite Herbert Blomstedt die 2. Symphonie D-Dur nach nur dreitägiger
Probe von jeglicher Erdenschwere. Er nahm Brahms' Anweisung Cantando
so wörtlich, dass er die Streicher im Dreiertakt so deklamieren
ließ, als ob sie sängen - nach seinen eigenen Worten
mit dem gedachten Text "Komm mein Schatz, lass uns träumen
und lieben". Es gelang ihm, dieses Glücksgefühl auf
das ganze Werk auszudehnen, ohne auch nur für einen einzigen
Augenblick sentimental zu werden. Es war zu spüren, dass er
nie die brillante architektonische Einheit des Werkes aus den Augen
verlor, dass sich das schwerelose Thema in Abwandlungen im Adagio,
im zierlichen Menuett und im brausenden Kehraus wiederfand. Es gelang
ihm, selbst den Moll-Einwürfen der Blechbläser etwas Strahlendes,
Affirmatives abzugewinnen. Dass die feinnervigen Musiker sich von
der Wärme, der Freude und dem Schwung des amtierenden Leipziger
Gewandhauskapellmeisters anstecken ließen, braucht nicht gesagt
zu werden. Der Auftritt, und besonders das von Herzen kommende Einführungsgespräch,
haben wieder zu den liebenswerten Erinnerungen an die Musiker-Legende
Herbert Blomstedt beigetragen. Eine Legende in Höchstform,
die noch lange nicht an der Schlusskadenz angekommen ist.
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